Rosa Winkel - Die Verfolgung Homosexueller im Nationalsozialismus
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Hans Severus Ziegler

Staatsrat und Generalintendant

Hans Severus Ziegler wird am 13.10.1893 in Eisenach geboren, der Vater ist Bankier, die Mutter die Amerikanerin Mary Francis Schirmer, eine Tochter des deutsch-amerikanischen Musikverlegers Gustav Schirmer. Ziegler besucht das Gymnasium in Dresden und Zittau. Nach Kriegsteilnahme im Lazarettdienst studiert er Germanistik, Geschichte, Kunstgeschichte und Philosophie in Jena, Greifswald und Cambridge. 1925 promoviert er bei Adolf Bartels über „Friedrich Hebbel und Weimar“.

Ziegler ist ein glühender Antisemit und Nationalsozialist der ersten Stunde. Schon 1923 organisiert er den Wahlkampf der NSDAP in Thüringen, seit 1924 gibt er die NS-Wochenzeitung Der Völkische heraus, aus der später die Tageszeitung Der Nationalsozialist hervorgeht. 1925 lernt er Hitler kennen, mit dem er die Begeisterung für Wagner teilt. 1926 wird die NS-Jugendorganisation auf seinen Vorschlag hin "Hitlerjugend" genannt. Von 1925 bis 1931 ist Ziegler stellvertretender Gauleiter der NSDAP in Thüringen, nach der ersten Machtbeteiligung der NSDAP 1930 überdies Referent im von Wilhelm Frick geleiteten Innen- und Volksbildungsministerium.

Zu seinen ersten Amtshandlungen gehören laut Ziegler ein „Erlass zur Bekämpfung von ‚Schmutz und Schund‘“ sowie ein Erlass „Wider die Negerkultur und für deutsches Volkstum“, dessen Ziel es ist, „Zersetzungserscheinungen“ wie „Jazzband- und

Hans Severus Ziegler (Mitte)  1937

Hans Severus Ziegler (Mitte) mit Prinz Georg von Sachsen-Meiningen und Elsa Reger bei der Enthüllung des Meininger Max-Reger-Denkmals am 11.4.1937

Bildquelle: Meininger Museen, Bildarchiv, B 303

Schlagzeug-Musik“ und die „Verseuchung deutschen Volkstums durch fremdrassige Unkultur“ nach „Möglichkeit zu unterbinden“. Künftig sollen die thüringischen Staatstheater „Pflegestätten deutschen Geistes sein“, allen „voran das Nationaltheater in Weimar“. Um die Umsetzung kann sich Ziegler dann persönlich kümmern, denn zum 1.4.1933 wird er Staatskommissar für das Theaterwesen, Mitglied der Staatsregierung von Thüringen sowie Chefdramaturg und Schauspieldirektor des Weimarer Nationaltheaters.

Doch Ziegler ist nicht nur ein fanatischer Rassenideologe, er ist auch ein Mann, über dessen sexuelle Orientierung es viele Gerüchte gibt. Nicht nur homosexuelle Männer sehen in ihm einen der ihren. Auch unter seinen Kollegen am Nationaltheater scheinen einige überzeugt zu sein, dass Ziegler homosexuell ist, zumal er noch weitere Männer ans Theater holt, die in diesem Verdacht stehen. Obwohl von Ziegler selbst, anders als bei Röhm, kein eindeutiges Bekenntnis überliefert ist, spricht einiges dafür, dass die Gerüchte über ihn der Wahrheit entsprechen.

Nach dem „Röhm-Putsch“ kochen die Gerüchte über Zieglers Homosexualität hoch. So sieht sich Volksbildungsministers Wächtler am 3.7.1934 zu einer Presserklärung genötigt: Demnach hätten sich „unzuständige Stellen“ angemaßt, „Erhebungen über die Person des Staatskommissars Dr. Ziegler anzustellen“. Wen Wächtler in dieser Frage für allein zuständig hält, macht er im Folgenden sehr deutlich: „Ich habe Veranlassung genommen, persönlich allen Gerüchten nachzugehen, und als Ergebnis einer gründlichen Untersuchung einwandfrei festgestellt, dass unter Erlass des Führers fallende Handlungen im Sinn des § 175 R.Str.G.B. nicht in Frage kommen. Ich erwarte, dass angesichts dieser Feststellung jene haltlosen Gerüchte nicht weiter verbreitet werden, und werde unnachsichtlich gegen alle vorgehen, die dieser Weisung zuwiderhandeln.“

Doch die Gerüchte über Ziegler verstummen nicht. Und sie haben Konsequenzen. So kommt dem Frankfurter Oberbürgermeister Friedrich Krebs bei einer Silvesterfeier zu Ohren, dass das Weimarer Nationaltheater „fast keine Besucher aufzuweisen“ hätte. Am 1.1.1935 notiert er in seinem Tagebuch, „das Publikum boykottiere es, weil in der Leitung Herr Dr. Ziegler (oder Rieg-ler) sitze, der zugegebenermaßen homosexuelle Neigungen habe.“ Allerdings ist fraglich, ob es tatsächlich die Homosexualität ist, die beim Theaterpublikum Aversionen hervorruft, oder nicht vielmehr die politische Haltung und das daran gekoppelte künstlerische Programm Zieglers. Ein gutes Gegenbeispiel ist der vom Publikum zutiefst verehrte Gustaf Gründgens, dessen Veranlagung wohlbekannt und Gegenstand zahlreicher Witze ist.

Ohne Frage ist es Zieglers herausgehobene Stellung in der NS-Bewegung, die ihn besonders angreifbar macht. Das scheint er auch selbst zu erkennen. So schreibt er am 13.1.1935 an den mit ihm befreundeten Schriftsteller Erich Ebermayer: „Ich selbst wurde seit 30. Juni derart gehasst und verfolgt und so gemein verleumdet“. Ziegler scheint aber optimistisch, dass er seine Haut retten kann. Und mehr noch: Offenbar hofft er sogar, die einsetzende Homosexuellenverfolgung durch eine Intervention bei Hitler stoppen zu können. Ebermayer schreibt er jedenfalls, er „habe erste Schritte zur Klärung der grundsätzlichen Seite des Problems getan und werde das letzte und tiefste Bekenntnis vorm Führer selbst ablegen und dann klare Entscheidung fordern. Ich bin der einzige Pg. in der Bewegung, der die Möglichkeit hat, so zu sprechen, von der Warte, von der aus das Thema behandelt sein will.“

Doch es kommt vollkommen anders, als Ziegler hofft. Schon Ende Januar muss er sich von allen seinen Ämtern beurlauben lassen. Nach einem Bericht der Berliner Börsen-Zeitung vom 1. Februar wird eine „amtliche Untersuchung eingeleitet“, um „eine Klärung der Gerüchte herbeizuführen, die seit längerer Zeit über Staatsrat Dr. Ziegler verbreitet werden“. Tatsächlich wird am 6. Februar im Register der Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht Weimar ein Ermittlungsverfahren eingetragen, das dann am 11. Februar an den Oberstaatsanwalt abgegeben wird.

In den folgenden drei Wochen ermittelt Oberstaatsanwalt Dr. Heinrich Seesemann in der Sache. Nach einem Zeitungsbericht wird die Untersuchung „auf besonderen Wunsch des Herrn Reichsstatthalters und der Thür. Landesregierung besonders umfassend und sorgfältig betrieben“. Wie objektiv das NSDAP-Mitglied Seesemann die Ermittlungen führt, bleibt allerdings offen. Das offizielle Ergebnis der „umfangreichen Ermittlungen“, das am 7. März veröffentlicht wird, „lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass irgendwelche nach dem Strafgesetz strafbare Handlungen Dr. Zieglers zweifelsfrei nicht vorliegen. Der Oberstaatsanwalt hat daher das Verfahren eingestellt.“

Bemerkenswert an diesem Zeitungsbericht ist, dass auch hier wieder allein auf strafbare Handlungen nach § 175 abgestellt wird. Juristisch betrachtet ist das korrekt. Aus der Sicht Himmlers und der Gestapo ist es aber von ebenso großer Bedeutung, ob man Ziegler homosexuelle Neigungen nachweisen kann, was, wie die Fälle Brückner und Gercke zeigen, in der Regel bereits ausreicht, um NS-Funktionäre zu entmachten und aus der Partei auszuschließen. Im thüringischen Volksbildungsministerium scheint man das allerdings etwas anders zu sehen. Am 14. März entwirft man dort eine Pressemitteilung, mit der auf die „völlige Haltlosigkeit der über Dr. Ziegler verbreiteten Gerüchte“ verwiesen werden soll. Bemerkenswerterweise wird das Wort „völlig“ dann in der am 18. März verbreiteten Endfassung gestrichen. Gleichzeitig wird mitgeteilt, dass Ziegler veranlasst worden sei, „seine Dienstgeschäfte alsbald wieder aufzunehmen“. Auch kann es Volksbildungsminister Wächtler nicht unterlassen, seine Warnung vom 3.7.1934 zu wiederholen: „Es wird Veranlassung genommen, nachträglich vor der weiteren Ausstreuung böswilliger Gerüchte über Staatsrat Dr. Ziegler zu warnen. In Zukunft wird jeder, der über Dr. Ziegler unwahre Gerüchte verbreitet, unnachsichtlich zur Rechenschaft gezogen werden.“

Ziegler geht äußerst angeschlagen aus der Affäre hervor. So schreibt er am 2. Juni an Ebermayer: „Aber wenn man eben soviel selbst hat durchmachen und erleben und hinter sich hat bringen müssen, dann hat man einfach zunächst keinen Elan mehr und in der Atmosphäre der Hetze und ihren Folgen auch wenig Chancen, anderen zu helfen. […] Ich mache immer noch unendlich Schweres durch, Freunde sitzen in Frankfurt a. M. seit Wochen in Haft, und man kann kaum helfen. Ich warte auf eine Aussprache mit dem Führer.“

Doch Hitler verweigert Ziegler die erhoffte persönliche Aussprache auch in den folgenden Monaten. Und Zieglers Autorität ist so erschüttert, dass er bei Hitler am 19.10.1935 anfragt, ob man ihn nicht auf den vakanten Posten des Dresdner Generalintendanten versetzen könne. Zu einer „persönlichen Unterredung“, über die er „unendlich glücklich und dankbar wäre“, kommt es aber auch in dieser Sache nicht. Vielmehr weist Hitler Zieglers Bitte Anfang November in einem beiläufigen Gespräch mit Sauckel zurück.

Ziegler findet schließlich einen ganz eigenen Weg, um seine Reputation innerhalb der NS-Bewegung wieder herzustellen: Nach dem Vorbild der 1937 eröffneten Ausstellung „Entartete Kunst“ organisiert er eine Ausstellung unter dem Titel „Entartete Musik“, die 1938 in Düsseldorf gezeigt wird. Allerdings scheint Zieglers Position auch später immer wieder gefährdet zu sein. So lässt er sich im Sommer 1939 erneut beurlauben. Die genauen Hintergründe bleiben im Dunkeln, doch die Sache wird schließlich an höchster Stelle entschieden. Am 24.9.1939 hält Reichsleiter Bormann „dem Führer persönlich über den Fall Dr. Ziegler Vortrag“ und legt Hitler „einen Brief von Ziegler“ vor: „Der Führer hat daraufhin entschieden, dass Ziegler seinen Dienst als Intendant wieder antreten kann“.

Nach 1945 arbeitet Ziegler zunächst als Vertreter für Gaststättenporzellan, später dann als Privatlehrer in Essen. Von 1952 bis 1954 fungiert er als Theaterleiter des dortigen privaten Kammerschauspiels. Anschließend ist er bis 1962 auf der Nordseeinsel Wangerooge als Lehrer tätig.

Ziegler bleibt bis zu seinem Lebensende ein überzeugter Nationalsozialist und Hitler-Verehrer. 1964 veröffentlicht er das Buch „Adolf Hitler aus dem Erleben dargestellt“, in dem er Hitler und den Nationalsozialismus verherrlicht. Ziegler stirbt am 1.5.1978 unverheiratet und kinderlos in Bayreuth.

Literaturtipps:

Alexander Zinn: Die soziale Konstruktion des homosexuellen Nationalsozialisten. Zu Genese und Etablierung eines Stereotyps. Frankfurt am Main 1997: Peter Lang.

Alexander Zinn: »Aus dem Volkskörper entfernt«? Homosexuelle Männer im Nationalsozialismus.
Frankfurt am Main 2018: Campus. Link zum Buchtipp

Alexander Zinn: Schwule Nazis. Homosexuelle in Presse und Propaganda der Linken.

© Alexander Zinn 2017