Schlagzeug-Musik
und die Verseuchung deutschen Volkstums durch fremdrassige
Unkultur nach Möglichkeit zu unterbinden.
Künftig sollen die thüringischen Staatstheater Pflegestätten
deutschen Geistes sein, allen voran das Nationaltheater
in Weimar. Um die Umsetzung kann sich Ziegler dann persönlich
kümmern, denn zum 1.4.1933 wird er Staatskommissar für
das Theaterwesen, Mitglied der Staatsregierung von Thüringen
sowie Chefdramaturg und Schauspieldirektor des Weimarer Nationaltheaters.
Doch Ziegler
ist nicht nur ein fanatischer Rassenideologe, er ist auch ein Mann,
über dessen sexuelle Orientierung es viele Gerüchte gibt.
Nicht nur homosexuelle Männer sehen in ihm einen der ihren.
Auch unter seinen Kollegen am Nationaltheater scheinen einige überzeugt
zu sein, dass Ziegler homosexuell ist, zumal er noch weitere Männer
ans Theater holt, die in diesem Verdacht stehen. Obwohl von Ziegler
selbst, anders als bei Röhm, kein eindeutiges Bekenntnis überliefert
ist, spricht einiges dafür, dass die Gerüchte über
ihn der Wahrheit entsprechen.
Nach dem Röhm-Putsch
kochen die Gerüchte über Zieglers Homosexualität
hoch. So sieht sich Volksbildungsministers Wächtler am 3.7.1934
zu einer Presserklärung genötigt: Demnach hätten
sich unzuständige Stellen angemaßt, Erhebungen
über die Person des Staatskommissars Dr. Ziegler anzustellen.
Wen Wächtler in dieser Frage für allein zuständig
hält, macht er im Folgenden sehr deutlich: Ich habe Veranlassung
genommen, persönlich allen Gerüchten nachzugehen, und
als Ergebnis einer gründlichen Untersuchung einwandfrei festgestellt,
dass unter Erlass des Führers fallende Handlungen im Sinn des
§ 175 R.Str.G.B. nicht in Frage kommen. Ich erwarte, dass angesichts
dieser Feststellung jene haltlosen Gerüchte nicht weiter verbreitet
werden, und werde unnachsichtlich gegen alle vorgehen, die dieser
Weisung zuwiderhandeln.
Doch die Gerüchte
über Ziegler verstummen nicht. Und sie haben Konsequenzen.
So kommt dem
Frankfurter Oberbürgermeister Friedrich Krebs bei einer Silvesterfeier
zu Ohren, dass das Weimarer Nationaltheater fast keine Besucher
aufzuweisen hätte. Am 1.1.1935 notiert er in seinem Tagebuch,
das Publikum boykottiere es, weil in der Leitung Herr Dr.
Ziegler (oder Rieg-ler) sitze, der zugegebenermaßen homosexuelle
Neigungen habe. Allerdings ist fraglich, ob es tatsächlich
die Homosexualität ist, die beim Theaterpublikum Aversionen
hervorruft, oder nicht vielmehr die politische Haltung und das daran
gekoppelte künstlerische Programm Zieglers. Ein gutes Gegenbeispiel
ist der vom Publikum zutiefst verehrte Gustaf
Gründgens, dessen Veranlagung wohlbekannt und Gegenstand
zahlreicher Witze ist.
Ohne Frage ist
es Zieglers herausgehobene Stellung in der NS-Bewegung, die ihn
besonders angreifbar macht. Das scheint er auch selbst zu erkennen.
So schreibt er am 13.1.1935 an den mit ihm befreundeten Schriftsteller
Erich Ebermayer: Ich selbst
wurde seit 30. Juni derart gehasst und verfolgt und so gemein verleumdet.
Ziegler scheint aber optimistisch, dass er seine Haut retten kann.
Und mehr noch: Offenbar hofft er sogar, die einsetzende Homosexuellenverfolgung
durch eine Intervention bei Hitler stoppen zu können. Ebermayer
schreibt er jedenfalls, er habe erste Schritte zur Klärung
der grundsätzlichen Seite des Problems getan und werde das
letzte und tiefste Bekenntnis vorm Führer selbst ablegen und
dann klare Entscheidung fordern. Ich bin der einzige Pg. in der
Bewegung, der die Möglichkeit hat, so zu sprechen, von der
Warte, von der aus das Thema behandelt sein will.
Doch es kommt
vollkommen anders, als Ziegler hofft. Schon Ende Januar muss er
sich von allen seinen Ämtern beurlauben lassen. Nach einem
Bericht der Berliner Börsen-Zeitung vom 1. Februar wird
eine amtliche Untersuchung eingeleitet, um eine
Klärung der Gerüchte herbeizuführen, die seit längerer
Zeit über Staatsrat Dr. Ziegler verbreitet werden. Tatsächlich
wird am 6. Februar im Register der Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht
Weimar ein Ermittlungsverfahren eingetragen, das dann am 11. Februar
an den Oberstaatsanwalt abgegeben wird.
In den folgenden
drei Wochen ermittelt Oberstaatsanwalt Dr. Heinrich Seesemann in
der Sache. Nach einem Zeitungsbericht wird die Untersuchung auf
besonderen Wunsch des Herrn Reichsstatthalters und der Thür.
Landesregierung besonders umfassend und sorgfältig betrieben.
Wie objektiv
das NSDAP-Mitglied Seesemann die Ermittlungen führt, bleibt
allerdings offen. Das offizielle Ergebnis der umfangreichen
Ermittlungen, das am 7. März veröffentlicht wird,
lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass irgendwelche
nach dem Strafgesetz strafbare Handlungen Dr. Zieglers zweifelsfrei
nicht vorliegen. Der Oberstaatsanwalt hat daher das Verfahren eingestellt.
Bemerkenswert
an diesem Zeitungsbericht ist, dass auch hier wieder allein auf
strafbare Handlungen nach § 175 abgestellt wird. Juristisch
betrachtet ist das korrekt. Aus der Sicht Himmlers und der Gestapo
ist es aber von ebenso großer Bedeutung, ob man Ziegler homosexuelle
Neigungen nachweisen kann, was, wie die Fälle Brückner
und Gercke zeigen, in der Regel bereits
ausreicht, um NS-Funktionäre zu entmachten und aus der Partei
auszuschließen. Im thüringischen Volksbildungsministerium
scheint man das allerdings etwas anders zu sehen. Am 14. März
entwirft man dort eine Pressemitteilung, mit der auf die völlige
Haltlosigkeit der über Dr. Ziegler verbreiteten Gerüchte
verwiesen werden soll. Bemerkenswerterweise wird das Wort völlig
dann in der am 18. März verbreiteten Endfassung gestrichen.
Gleichzeitig wird mitgeteilt, dass Ziegler veranlasst worden sei,
seine Dienstgeschäfte alsbald wieder aufzunehmen.
Auch kann es Volksbildungsminister Wächtler nicht unterlassen,
seine Warnung vom 3.7.1934 zu wiederholen: Es wird Veranlassung
genommen, nachträglich vor der weiteren Ausstreuung böswilliger
Gerüchte über Staatsrat Dr. Ziegler zu warnen. In Zukunft
wird jeder, der über Dr. Ziegler unwahre Gerüchte verbreitet,
unnachsichtlich zur Rechenschaft gezogen werden.
Ziegler geht
äußerst angeschlagen aus der Affäre hervor. So schreibt
er am 2. Juni an Ebermayer: Aber wenn man eben soviel selbst
hat durchmachen und erleben und hinter sich hat bringen müssen,
dann hat man einfach zunächst keinen Elan mehr und in der Atmosphäre
der Hetze und ihren Folgen auch wenig Chancen, anderen zu helfen.
[
] Ich mache immer noch unendlich Schweres durch, Freunde
sitzen in Frankfurt a. M. seit Wochen in Haft, und man kann kaum
helfen. Ich warte auf eine Aussprache mit dem Führer.
Doch Hitler
verweigert Ziegler die erhoffte persönliche Aussprache auch
in den folgenden Monaten. Und Zieglers Autorität ist so erschüttert,
dass er bei Hitler am 19.10.1935 anfragt, ob man ihn nicht auf den
vakanten Posten des Dresdner Generalintendanten versetzen könne.
Zu einer persönlichen Unterredung, über die
er unendlich glücklich und dankbar wäre, kommt
es aber auch in dieser Sache nicht. Vielmehr weist Hitler Zieglers
Bitte Anfang November in einem beiläufigen Gespräch mit
Sauckel zurück.
Ziegler findet
schließlich einen ganz eigenen Weg, um seine Reputation innerhalb
der NS-Bewegung wieder herzustellen: Nach dem Vorbild der 1937 eröffneten
Ausstellung Entartete Kunst organisiert er eine Ausstellung
unter dem Titel Entartete Musik, die 1938 in Düsseldorf
gezeigt wird. Allerdings
scheint Zieglers Position auch später immer wieder gefährdet
zu sein. So lässt er sich im Sommer 1939 erneut beurlauben.
Die genauen Hintergründe bleiben im Dunkeln, doch die Sache
wird schließlich an höchster Stelle entschieden. Am 24.9.1939
hält Reichsleiter Bormann dem Führer persönlich
über den Fall Dr. Ziegler Vortrag und legt Hitler einen
Brief von Ziegler vor: Der Führer hat daraufhin
entschieden, dass Ziegler seinen Dienst als Intendant wieder antreten
kann.
Nach 1945 arbeitet
Ziegler zunächst als Vertreter für Gaststättenporzellan,
später dann als Privatlehrer in Essen. Von 1952 bis 1954 fungiert
er als Theaterleiter des dortigen privaten Kammerschauspiels. Anschließend
ist er bis 1962 auf der Nordseeinsel Wangerooge als Lehrer tätig.
Ziegler bleibt
bis zu seinem Lebensende ein überzeugter Nationalsozialist
und Hitler-Verehrer. 1964 veröffentlicht er das Buch Adolf
Hitler aus dem Erleben dargestellt, in dem er Hitler und den
Nationalsozialismus verherrlicht. Ziegler stirbt am 1.5.1978 unverheiratet
und kinderlos in Bayreuth.
Literaturtipps:
Alexander Zinn:
Die soziale Konstruktion des homosexuellen Nationalsozialisten.
Zu Genese und Etablierung eines Stereotyps. Frankfurt am Main
1997: Peter Lang.
Alexander Zinn:
»Aus dem Volkskörper entfernt«? Homosexuelle
Männer im Nationalsozialismus.
Frankfurt am Main 2018: Campus. Link
zum Buchtipp
Alexander Zinn:
Schwule
Nazis. Homosexuelle in Presse und Propaganda der Linken.
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