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Die ideologischen
Motive der Homosexuellenverfolgung
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"Sexual
acts have no inherent meaning, and in fact, no act is inherently
sexual. Rather, in the course of interactions and over the course
of time, individuals and societies spin webs of significance around
the realm designated as 'sexual'." Steven Epstein
Prägend
für das Homosexuellenbild der Nationalsozialisten sind die
Vorstellungen des Reichsführers SS und späteren
Gestapo-Chefs Heinrich Himmler. Schon in jungen Jahren setzt er
sich mit dem Thema auseinander. Großen Einfluss auf ihn haben
die Theorien Hans Blühers über die Bedeutung der Homosexualität
für Männerbund und Staatenbildung. 1922 liest Himmler
Blühers Buch über die Rolle der Erotik in der männlichen
Gesellschaft, das ihn sehr beschäftigt. So notiert er
am 4.3.1922 in seinem Tagebuch: In dem Buch gelesen, es packt
und rüttelt einen im Tiefsten, man möchte zur Frage kommen,
was hat das Leben für einen Zweck, es hat aber einen.
Tee. Studiert. Abendessen. Wieder gelesen. [
] Übungen.
½ 11 Uhr Bett, unruhig geschlafen. Blühers These
über den konstitutiven Charakter der Homosexualität für
Männerbund und Staat beeindruckt Himmler zutiefst. Doch Himmler
zieht ganz andere Schlüsse aus Blühers Thesen, als es
diesem Kämpfer für die Rechte Homosexueller recht sein
kann: Dass es eine männliche Gesellschaft geben muss,
ist klar. Ob man es als Erotik bezeichnen kann, bezweifle ich. Auf
jeden Fall ist die reine Päderastie eine Verirrung eines degenerierten
Individuums, da sie naturwidrig ist.
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Aus Blühers Thesen und den Debatten um die Eulenburg-Affäre,
die von dem Vorwurf bestimmt waren, ein Kreis Homosexueller übe
auf den deutschen Kaiser einen ungünstigen Einfluss aus und
untergrabe damit die Verteidigungsfähigkeit des Reiches, entwickelt
Himmler schließlich eine eigene Theorie. Ihm erscheint die
Homosexualität als eine Bedrohung des Staates, den er im Sinne
Blühers als eine Domäne des Mannes betrachtet. Homosexuelle
Männer streben in seinen Augen danach, staatliche Strukturen
zu unterwandern, was diese aber nicht, wie Blüher meint, stärke,
sondern im Gegenteil zur Zerstörung des Staates
führe. Hier zeigt sich Himmler auch stark beeinflusst von den
um die Jahrhundertwende populären Dekadenztheorien, die den
Untergang des Römischen Reiches und anderer mächtiger
Staaten auf eine Ausbreitung der Homosexualität zurückführen.
Sehr ausführlich
schildert Himmler die
dauernde Gefahrenquelle einer Unterwanderung des nationalsozialistischen
Männerstaates in einer Geheimrede am 18.2.1937
vor SS-Gruppenführern in Bad Tölz: Wenn Sie an irgendeiner
Stelle einen so veranlagten Mann im Männerstaat haben, der
etwas zu sagen hat, können Sie mit Sicherheit drei, vier, acht,
zehn und noch mehr gleichveranlagte Menschen finden; denn einer
zieht den anderen nach, und wehe, wenn da ein oder zwei Normale
unter diesen Leuten sind, sie werden in Grund und Boden verdammt,
sie können machen was sie wollen, sie werden kaputtgemacht.
In den Augen Himmlers sind Homosexuelle eine verschworene Gemeinschaft,
die das Leistungsprinzip durch ein erotisches Prinzip
ersetzt. In dem Augenblick aber, wo ein geschlechtliches Prinzip
im Männerstaat von Mann zu Mann einkehrt, beginnt die Zerstörung
des Staates, so Himmler weiter. Homosexualität
bringt also jede Leistung, jeden Aufbau nach Leistung im Staat zu
Fall und zerstört den Staat in seinen Grundfesten.
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Heinrich
Himmler und Ernst Röhm am 13.8.1933
Bildquelle: Bundesarchiv, Bild 102-15282
Fotograf: Georg Pahl
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Das von Himmler
entwickelte Bedrohungsszenario ist eng verknüpft mit den Erfahrungen,
die er mit seinem Vorgesetzten, dem homosexuellen SA-Stabschef Ernst
Röhm macht. In den Augen Himmlers ist Röhm der Prototyp
eines Homosexuellen, der eine Clique Gleichveranlagter um sich sammelt,
mit der er zur Macht drängt. Die Ermordung Röhms und einiger
anderer Homosexueller aus seinem engeren Führungszirkel, die
Himmler im Juni 1934 im Auftrag Hitlers organisiert, wird gegenüber
der Öffentlichkeit denn auch als die Abwehr eines Putschversuches
legitimiert. Dass
es sich bei der Verknüpfung der angeblichen Putschabsichten
Röhms mit einer homosexuellen Verschwörung eben nicht
nur um Propaganda, sondern um ein aus den Thesen Blühers
erwachsenes und zur Wahnvorstellung verkehrtes ideologisches Konstrukt
handelt, zeigt sich daran, dass Himmler diese Linie auch intern
gegenüber seinen Mitarbeitern vertritt. So berichtet der spätere
Gestapa-Verwaltungschef Werner Best, Himmler habe bereits kurz nach
der Mordaktion den versammelten SS-Führern erklärt, man
sei nur knapp der Gefahr entgangen, einen Staat von Urningen
[Homosexuellen] zu bekommen.
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Verbreitet wird dieses Homosexuellenbild nicht nur auf diversen Arbeitstagungen,
sondern auch in einer im Frühjahr 1937 publizierten Artikelserie
der SS-Zeitschrift Das Schwarze Korps. Zum Beispiel in einem
Artikel vom 4. März, der unter der Überschrift Das
sind Staatsfeinde erscheint: Sie [die Homosexuellen] sind
Staatsverbrecher, weil sie nicht nur aus Neigung, sondern
ebenso aus Zweckmäßigkeitsgründen immer mit ihresgleichen
umgehen, sobald sie irgendwo eine leitende Stellung bekleiden und
Vorgesetzte abhängiger Untergebener sind. Sie bilden einen Staat
im Staate, eine geheime, den Interessen des Volkes zuwiderlaufende,
also staatsfeindliche Organisation. Wenig überraschend
ist es, dass als Kronzeuge für diese These der Wandervogelapostel
Hans Blüher angeführt wird, dessen Ideologie
sich gegen den Bestand der Volksgemeinschaft wende. Und
so gipfelt der Artikel in der Forderung: Nicht arme, kranke
Menschen sind zu behandeln, sondern Staatsfeinde
sind auszumerzen. |
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Titelseite des Schwarzen Korps vom 3.4.1937
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In den meisten
Presseveröffentlichungen wird die Homosexuellenverfolgung hingegen
mit plakativeren und eingängigeren Motiven gerechtfertigt. So
insbesondere mit der Vorstellung, Homosexuelle verführten die
deutsche Jugend, beraubten das deutsche Volk so seiner
Zeugungskraft und bedrohten die Fortpflanzung und das
angestrebte Bevölkerungswachstum.
Die nationalsozialistische
Verfolgungspolitik zielt nicht nur auf die veranlagten
Homosexuellen, die in den Augen der Gestapo nur eine kleine Minderheit
darstellen, sondern vor allem auf die breite Masse jener Männer
in NS-Organisationen und Männerstaat, die nach
Blühers Theorie besonders anfällig erscheinen für
Homoerotik und Homosexualität. Ihre Verführung
zu verhindern, ist der eigentliche Zweck der Verfolgungsmaßnahmen,
würde sie in den Augen Himmlers doch unweigerlich zur Zerstörung
des Staates führen. Erst dieses Bedrohungsszenario macht
plausibel, warum Himmler und die Gestapo die Homosexualität
für eine Staatsgefahr mindestens vom gleichen Umfange
wie der Kommunismus halten. Es macht verständlich, warum
die Verfolgungspolitik in der NS-Propaganda kaum eine Rolle spielt
und die Berichterstattung über Verhaftungen hoher NS-Funktionäre
sogar untersagt wird das antifaschistische Propagandaklischee
vom schwulen Nazi will man nicht noch durch eigene Presseberichte
bestätigen. Und nur dieses Bedrohungsszenario kann schließlich
auch erklären, warum die Verfolgungspolitik nur auf homosexuelle
Männer, nicht aber auf lesbische Frauen zielt wäre
es den Nationalsozialisten in erster Linie um die Reproduktion der
Bevölkerung gegangen, so hätten sie die weibliche Homosexualität
ebenso bekämpfen müssen wie die männliche.
Literaturtipp:
Alexander Zinn:
»Aus dem Volkskörper entfernt«? Homosexuelle
Männer im Nationalsozialismus.
Frankfurt am Main 2018: Campus. Link
zum Buchtipp
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